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Synergie der Seele: Die Wirkung psychospiritueller Live-Events auf Gruppen

Psychospirituelle Live-Events, von Achtsamkeits-Retreats über Atemarbeit bis hin zu Kakaozeremonien,  gewinnen zunehmend an Bedeutung als Weg zur tiefgreifenden persönlichen Transformation. Doch was macht die Dynamik der Gruppe zu einem so wirkungsvollen Katalysator für die Heilung der Psyche und die Entfaltung des spirituellen Potenzials?

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Die Kraft der Gruppe: Warum Heilung gemeinsam besser funktioniert

Der wichtigste Grund, warum psychospirituelle Arbeit in Gruppen so gut funktioniert, ist die kollektive Resonanz. Das ist ein Begriff dafür, dass die Energie der Gruppe stärker ist als die Energie jedes einzelnen Teilnehmers.

Wenn Menschen mit dem gleichen Ziel, nämlich etwas in sich selbst zu klären oder zu heilen, zusammenkommen, entsteht ein gemeinsames Energiefeld. Die geteilte Absicht und Konzentration macht die gesamte Energie stärker und hilft jedem Einzelnen, tiefer in seine Gefühle oder Gedanken zu schauen.

Die Gemeinschaft als Spiegel

Zwei Dinge sind dabei besonders wichtig. Erstens: Andere Gruppenteilnehmer sind wie Spiegel. Wenn jemand anderes von seinen Ängsten, Problemen oder einem plötzlichen Durchbruch erzählt, sehen Sie darin oft unbewusst Ihre eigenen, ähnlichen Probleme. Das hilft Ihnen, Ihre eigenen Themen schneller zu erkennen und zu verstehen. Zweitens: Wenn Sie merken, dass Sie mit Ihren tiefsten Ängsten, Sorgen oder auch spirituellen Erfahrungen nicht allein sind, verschwindet das Gefühl der Isolation. Diese gemeinsame Bestätigung macht es leichter, sich selbst und den eigenen Heilungsweg anzunehmen. Die Gruppe sagt Dir quasi: „Das ist normal, und das ist okay.“

Katalysatoren für die Bewusstseinsveränderung

Die Wirkung psychospiritueller Live Events auf GruppenPsychospirituelle Szenen nutzen häufig gemeinsame Riten oder spezifische Techniken, um den gewöhnlichen Bewusstseinszustand zu transzendieren und eine spirituelle Öffnung zu initiieren.

Atmung

Durch gezielte, intensive Techniken wie Atemarbeit (z.B. Holotropes Atmen) wird bei den meisten ein veränderter Zustand erreicht, der den Zugang zu unbewusstem Material, spirituellen Visionen oder körperlichen Freisetzungen ermöglicht, wobei die kollektive Durchführung die Wirkung potenziert.

Körper

Ähnlich fördern körperorientierte Übungen wie gemeinsames Tanzen, Bewegung oder achtsame Praxis die Lösung von im Körper gespeicherten Blockaden. Auch geführte Meditationen und Imaginationen helfen, den analytischen Verstand temporär in den Hintergrund treten zu lassen. Dies ebnet den Weg für transpersonale Erfahrungen: Momente tiefster Verbundenheit, universellen Friedens oder des Gefühls, Teil eines größeren Ganzen zu sein.

Die Integration: Überführung in den Alltag

Die Wirksamkeit von Retreats und Live-Events misst sich letztlich daran, ob die gemachten Erkenntnisse nachhaltig in das Alltagsleben integriert werden können. Auch hier spielt die Gruppe eine entscheidende Rolle.

Macht der Gemeinschaft

Durch das gemeinsame Teilen der spirituellen Erlebnisse wird das Unsagbare in Worte gefasst. Darüber hinaus erzeugt die Entscheidung, ein neues Verhaltensmuster oder eine spirituelle Praxis in Anwesenheit der Gruppe zu manifestieren, ein starkes soziales und inneres Commitment. Viele Gruppen bilden über das Event hinaus temporäre Unterstützungsnetzwerke, die helfen, die anfängliche Motivation aufrechtzuerhalten und die Erkenntnisse langfristig zu verankern.

Die psychospirituelle Gruppe bietet demnach einen geschützten Raum: eine Gemeinschaft, in der die Grenzen zwischen innerer psychologischer Arbeit und äußerer spiritueller Suche verschwimmen und die Transformation tiefgreifend beschleunigt wird.

Beispiele für Mechanismen der Gruppenwirkung

Braco: Transformation durch passive Rezeption und Ritual

Der kroatische „Heiler“ Braco (Josip Grbavac) verkörpert einen traditionell-esoterischen Ansatz, bei dem die Gruppe primär als passiver Empfänger dient. Bracos Begegnungen, auch als „Gazing“ (Blicken) bezeichnet, zeichnen sich dadurch aus, dass keinerlei verbale Interaktion stattfindet; Braco spricht nicht, sondern tritt lediglich vor die Gruppe und hält kurz den Blick.

Der gesamte Aufbau der Veranstaltung ist ein Ritus zur Übertragung einer nicht definierten, heilenden Energie. Die Kürze und Stille des Moments konzentrieren die gesamte Aufmerksamkeit und Erwartungshaltung der Teilnehmer intensiv auf diesen Augenblick. Die Anwesenheit hunderter oder tausender Menschen, die alle mit der Hoffnung auf Heilung oder Erleichterung da sind, erzeugt eine massive kollektive Suggestion

Social Cure Effekt

Das Phänomen der Gruppenwirkung, das in der Sozialpsychologie als Social Cure-Effekt beschrieben wird, besagt, dass die Verbundenheit mit einer Gruppe positive Effekte auf das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit haben kann, ein Effekt, der auch bei psychospirituellen Live-Events wirksam wird, unabhängig von der tatsächlichen Wirksamkeit der Methode. 

Die Gruppe fungiert als Resonanzkörper für die individuelle Erfahrung. Die psychospirituelle Wirkung wird oft als energetisch beschrieben. Teilnehmer berichten von starken Gefühlen, Wärme, Kribbeln oder tiefer Entspannung – Phänomene, die im Rahmen der Gruppe als Bestätigung für eine übernatürliche oder transpersonale Kraft interpretiert werden. Hier erfolgt die Transformation von außen nach innen; die Gruppe ist ein Zeuge und Verstärker der vermeintlich übertragenden Heilenergie.

Laura Malina Seiler: Transformation durch aktive Teilnahme und Coaching

Laura Malina Seiler repräsentiert hingegen den modernen Coaching-Ansatz, der Spiritualität in die Bereiche Persönlichkeitsentwicklung, Mindset und Unternehmertum integriert. Hier ist die Gruppe ein aktiver Motor und ein Ort des Lernens und der gegenseitigen Verantwortlichkeit.

Ihre Veranstaltungen, ob große Live-Events oder mehrtägige Online-Retreats, sind strukturierte Programme, die auf klar definierte psychologische und spirituelle Ziele ausgerichtet sind. Im Gegensatz zu Braco spielt die verbale Anleitung und Wissensvermittlung eine zentrale Rolle. Die Teilnehmer erhalten spezifisches Wissen über Psychologie, Mentaltraining und spirituelle Konzepte. 

Soziales Commitment

Die Gruppe wird durch Workbooks, Meditationen und den Austausch in kleineren interaktiven Einheiten zur aktiven Arbeit angehalten. Diese Interaktion dient der Spiegelung und dem Peer-to-Peer-Lernen, wobei die Teilnehmer sehen, dass andere die gleichen Herausforderungen haben, was das Gefühl der Isolation auflöst. 

Des Weiteren schafft das öffentliche Aussprechen von Zielen und Wünschen vor der Community ein soziales Commitment. Dieses Bekenntnis erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Teilnehmer die gewünschten Veränderungen auch nach Ende der Veranstaltung im Alltag umsetzen. Hier erfolgt die Transformation von innen nach außen; die Gruppe ist der sichere und motivierende Rahmen, in dem Selbstwirksamkeit und neues Bewusstsein trainiert werden.

Wie entstehen die High Gefühle in spirituellen Live-Events?

Die oben beschriebenen Empfindungen von starken Gefühlen, Wärme, Kribbeln oder tiefer Entspannung, die Die Wirkung psychospiritueller Live Events auf Gruppen Teilnehmer in psychospirituellen Live-Events oft als „energetische Wirkung“ interpretieren, werden wissenschaftlich durch eine gezielte Kaskade von psychologischen, physiologischen und neurologischen Mechanismen ausgelöst. Die Annahme einer direkten „übernatürlichen oder transpersonalen Kraft“ ist nach den derzeitigen wissenschaftlichen Modellen nicht belegt.

Gruppendynamik trifft Autorität

Der primäre Auslöser ist die Erwartungshaltung der Teilnehmer, die durch das Ritual, die Gruppendynamik und die Autorität der Leitung massiv verstärkt wird. Diese Erwartung ist ein zentraler Bestandteil des Placebo-Effekts und führt im Gehirn zur Aktivierung des Belohnungssystems. Dies wiederum bewirkt die Ausschüttung körpereigener Chemikalien, insbesondere Endorphinen (natürliche Schmerzmittel und Stimmungsaufheller) und Dopamin. Diese Neurotransmitter sind unmittelbar für Gefühle des Wohlbefindens, der Entspannung und der Euphorie verantwortlich. Die berichtete Empfindung von Wärme kann dabei durch eine durch das Nervensystem gesteuerte Veränderung der peripheren Durchblutung ausgelöst werden.

Die Macht der Spiegelneuronen

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die kollektive Suggestion und die emotionale Ansteckung. In einem hochfokussierten Gruppensetting beobachten die Teilnehmer unbewusst einander, wobei Spiegelneuronen eine Rolle spielen. Wenn eine Person eine intensive Empfindung erlebt oder diese verbalisiert, wird dies von anderen oft unbewusst imitiert oder als Validierung der eigenen inneren Prozesse interpretiert. Die gesamte kollektive Fokussierung auf die erwartete Energie wirkt wie ein mächtiger Verstärker der individuellen physiologischen Reaktionen.

Biochemische Reaktionen

Darüber hinaus spielen physiologische Techniken eine direkte Rolle. Viele Rituale, wie bestimmte Formen der Meditation oder Atemarbeit, beinhalten eine intensive oder schnelle Atmung. Diese Hyperventilation führt zu einer kurzfristigen Veränderung des Kohlendioxidgehalts im Blut, was wiederum eine respiratorische Alkalose auslösen kann. Diese chemische Verschiebung manifestiert sich körperlich oft als Kribbeln, Schwindel oder leicht dissoziativen Zuständen, Empfindungen, die leicht als energetisches Fließen interpretiert werden.

Zuletzt führt die Atmosphäre der Sicherheit, die Musik, die Konzentration und das Gefühl des Getragenwerdens in der Gruppe zu einem Abschalten des Stress-Systems (Sympathikus) zugunsten des parasympathischen Nervensystems. Dessen Aktivierung löst eine tiefgreifende Entspannungsreaktion aus, die den Herzschlag verlangsamt, den Blutdruck senkt und die Gefühle von innerem Frieden und Geborgenheit erzeugt.

Zusammenfassend stellt die beschriebene Transformation von außen nach innen eine psychosoziale und neurochemische Kaskade dar: Die äußere soziale Situation (die Gruppe, das Ritual) führt über Erwartung und Suggestion zur Freisetzung von Neurotransmittern und zur tiefgreifenden Modulation des Nervensystems, was schließlich die als „energetisch“ interpretierten inneren Empfindungen auslöst.

Wer ist anfällig für psycho-spirituelle Live-Events?

Die Anfälligkeit für die Angebote der psychospirituellen Szene betrifft primär Menschen in spezifischen Lebensphasen oder mit bestimmten unbefriedigten psychologischen Bedürfnissen. Grundsätzlich ist die Empfänglichkeit dort am größten, wo ein akutes Ungleichgewicht zwischen innerer Not und der Fähigkeit zur Bewältigung besteht.

Die Wirkung psychospiritueller Live Events auf GruppenSinnsuchende

Viele der Suchenden befinden sich in Übergangs- und Krisenphasen des Lebens. Dazu gehören Personen, die nach einer schweren Trennung, einem beruflichen Verlust oder während der Midlife-Crisis eine Phase der Desorientierung erleben. Sie sind offen für schnelle, tiefgreifende Antworten und suchen eine neue spirituelle Praxis oder eine andere Sinnhaftigkeit als die, welche ihnen die säkulare Gesellschaft bietet. Auch Menschen, die unter starkem Stress stehen oder dem Burnout nahe sind, suchen nach einfachen Wegen zur Entspannung oder nach einer mentalen „Neustart“-Taste.

Vulnerable Personen

Psychologisch vulnerable Gruppen sind ebenfalls überrepräsentiert. Dazu zählen Individuen mit unverarbeiteten emotionalen Traumata, da sie sich oft von intensiven, transformativen Erlebnissen angezogen fühlen, die die versprochene emotionale Katharsis (Reinigung) ermöglichen sollen. 

Geringes Selbstwertgefühl

Personen mit geringer Selbstwirksamkeit tendieren zudem dazu, sich eine externe Autorität zu suchen, sei es der Heiler, der Guru oder der Coach, die ihnen den Weg vorgibt oder die Transformation für sie übernimmt, da sie kein Vertrauen in ihre eigenen Problemlösungsfähigkeiten haben. Ein weiterer starker Antrieb ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Wer sich im Alltag isoliert oder alleingelassen fühlt, findet in der psychospirituellen Gruppe sofortige, tiefe Gemeinschaft und das Gefühl der bedingungslosen Akzeptanz.

Je nach spezifischem Angebot variiert die Anfälligkeit: Passive Ansätze wie bei Braco ziehen eher Menschen mit körperlichen oder chronischen Leiden an, die im konventionellen Gesundheitssystem keine Heilung gefunden haben, sowie jene, die eine einfache, passive Lösung ohne eigene psychische Anstrengung suchen. Aktive Coaching-Ansätze wie bei Laura Malina Seiler hingegen ziehen häufig junge, gebildete Menschen an, die den Wunsch nach Höchstleistung und schneller Selbstoptimierung mit spirituellen Konzepten verbinden möchten.

Sind psycho-spirituelle Live-Events Gehirnwäsche?

Die „gehirnwaschende“ Wirkung beschreibt man wissenschaftlich präziser als eine erhöhte Anfälligkeit für Suggestion und eine Herabsetzung der kognitiven Kontrolle, die durch die besonderen Bedingungen des Events ausgelöst wird:

1. Das Setting der Reizüberflutung 

Spirituelle Live-Events nutzen oft eine bewusste Gestaltung der Umgebung, die den normalen kritischen Denkprozess stört:

Die Kombination aus lauter, emotionaler Musik, rhythmischen Elementen (Singen, Klatschen), farbigen Lichtern und einer euphorischen Atmosphäre überlastet das Gehirn. Dies führt zu einer reduzierten Fähigkeit, Informationen kritisch zu verarbeiten.

Bei Retreats verändern lange Sitzperioden, wenig Schlaf oder kontrollierte Atemtechniken die Blutchemie und den Sauerstoff- bzw. Kohlendioxidgehalt im Gehirn. Dies induziert leichte dissoziative Zustände oder veränderte Bewusstseinszustände, in denen die Teilnehmer empfänglicher für Suggestionen sind.

2. Die Macht der Gruppe und des Commitments

Die Gruppendynamik fungiert als Katalysator, der psychische Widerstände abbaut:

Wenn Tausende von Menschen um dich herum weinen, lachen oder in Ekstase geraten, sendet dies ein starkes soziales Signal: Das ist richtig, was hier passiert. Der Einzelne möchte sich anpassen und die gleiche Erfahrung machen, was das kritische Urteil ausschaltet (Konformitätsdruck).

Die Erfahrung der „kollektiven Resonanz“ und das Gefühl der Universalität (alle sind gleich, alle leiden oder freuen sich gemeinsam) führen zu einer temporären Auflösung der individuellen Identität. Dies macht Teilnehmer empfänglicher für die Botschaften und die Ideologie der Gruppe oder der Leitung.

Die Investition von Zeit und Geld sowie das emotionale Bekenntnis vor der Gruppe machen es psychologisch schwierig, die Erfahrung oder die Botschaft später als unwahr oder falsch abzutun.

Abgrenzung zur Gehirnwäsche

Der Unterschied zur klassischen Gehirnwäsche liegt in der Nachhaltigkeit und Intentionalität:

Merkmal Spirituelles Live-Event Klassische (politische/kultische) Gehirnwäsche
Ziel Meist kurzfristige emotionale/spirituelle „Reinigung“ und die Vermittlung von Coaching-Inhalten. Nachhaltige, vollständige Zerstörung der alten Identität und die Implementierung einer neuen, kontrollierbaren Ideologie.
Dauer Begrenzt auf wenige Stunden oder Tage. Wochen, Monate oder Jahre der Isolation und systematischen psychischen Zerstörung.
Methodik Suggestion und emotionale Verstärkung durch Musik/Masse. Zwang, physische/emotionale Isolation, Schlafentzug, systematische Erniedrigung und der totale Bruch mit der Außenwelt.

Gehirnwäsche ist nicht das Gleiche

Spirituelle Live-Events üben eine starke Form der emotionalen und sozialen Suggestion aus, die die kritische Urteilsfähigkeit vorübergehend herabsetzt. Sie können in diesem Sinne als gehirnwaschend im Sinne von stark beeinflussend oder stark suggestiv beschrieben werden, doch sie erreichen in der Regel nicht die systematische, identitätszerstörende Tiefe, die mit dem historischen Begriff der Gehirnwäsche verbunden ist. Die erhöhte Anfälligkeit ist jedoch der Grund, warum vulnerable Personen nach solchen Events oft stark emotionalisiert und bereit sind, große Veränderungen vorzunehmen.

Die Entwicklung von Abhängigkeit und Commitment

Die erhöhte emotionale Anfälligkeit und die Bereitschaft zu großen Veränderungen können in der Tat dazu führen, dass vulnerable Personen dem Guru, Coach oder Leiter der Bewegung weiter folgen, durch folgende mögliche Szenarien:

1. Die Korrigierende Emotionale Erfahrung wird zur Sucht

Die intensiven, transformativen Gefühle (Katharsis, Euphorie, Verbundenheit), die während des Events erlebt werden, können eine korrigierende emotionale Erfahrung für Menschen sein, die vulnerabel sind oder sich im Alltag isoliert oder taub fühlen. Das Gehirn speichert dieses intensive Erlebnis als extrem positiv ab.

Da die tiefe Entspannung, das Kribbeln oder die Euphorie durch das Gruppensetting und die spezifischen Techniken (Atemarbeit, Suggestion) ausgelöst wurden, besteht die Gefahr, dass die Person diese Zustände nicht autonom reproduzieren kann. Um dieses Gefühl und die damit verbundene Erleichterung erneut zu erleben, muss sie zum Auslöser zurückkehren, in diesem Fall zum Event, zur Gruppe oder zum Coach.

2. Commitment und Vermeidung kognitiver Dissonanz

Sobald eine Person emotional und finanziell stark in die Szene investiert hat, setzt ein psychologischer Mechanismus ein, der als Commitment und Reduktion kognitiver Dissonanz bekannt ist.

Um die großen Opfer (Geld, Zeit, Abgrenzung von der Familie) zu rechtfertigen, muss die Erfahrung als echt und die Führung als wahrhaftig empfunden werden. Zweifel würden eine unerträgliche psychische Spannung (Dissonanz) erzeugen.

Die Bereitschaft, große Veränderungen vorzunehmen (Job kündigen, Lebensstil ändern, teure Kurse buchen), ist der ultimative Beweis dafür, dass die Lehren wirksam sind. Je radikaler die Veränderung, desto stärker wird die Bindung an die Autorität, die diese Veränderung inspiriert hat.

Die Kombination aus intensiver emotionaler Belohnung und dem psychologischen Drang, getroffene Entscheidungen zu rechtfertigen, festigt die Bindung an den Guru, Coach oder die Bewegung und kann in manchen Fällen zur Abhängigkeit oder zur Verengung der kritischen Denkfähigkeit führen.

Risiken psycho-spiritueller Live-Events

Die intensive emotionale Arbeit ohne professionelle Begleitung kann gravierende Folgen für die Psyche haben. Das tritt ein, wenn die Vulnerabilität der Teilnehmer auf die mangelnde Qualifikation oder unethisches Verhalten der Leitung trifft. Die Risiken sind dabei vielschichtig und reichen von schwerwiegenden psychischen Schäden bis hin zur totalen sozialen und finanziellen Ausbeutung.

Psychosen

Die in der Gruppe bewusst freigesetzte, intensive emotionale Katharsis, die Entladung aufgestauter Emotionen, kann bei Menschen mit unentdeckten oder nicht stabilisierten psychischen Störungen, wie latenten Psychosen, zu einem akuten Zusammenbruch oder einer psychotischen Episode führen. Wenn der Leiter den notwendigen therapeutischen Rahmen nicht stabilisieren kann (was bei einer mit tausenden Menschen gefüllten Arena kaum der Fall ist), wird die unkontrollierte Auflösung von Schutzmechanismen zur Überforderung der Psyche. 

Traumata

Noch gravierender ist die Gefahr der Re-Traumatisierung: Intensive Techniken wie unbegleitete Atemarbeit können alte Traumata erneut auslösen, wobei das Erlebnis nicht integriert, sondern lediglich wiederholt wird, was zu einer massiven Verschlechterung des Zustands führt. Auch die fehlende Integration der intensiven „High-Gefühle“ führt zu Problemen, denn die Teilnehmer fühlen sich im normalen Alltag oft entfremdet oder leer, weil die „reale“ Welt nicht mit der Intensität des Events mithalten kann.

Ausbeutung

Auf der sozialen und finanziellen Ebene droht die Ausbeutung und Isolation. Die Gruppenideologie kann verlangen, sich von kritischen Freunden und Familienmitgliedern zu distanzieren, die die neuen Lehren ablehnen. Dies führt zum Bruch mit dem sozialen Netz und macht die Person noch abhängiger von der Gruppe. Finanziell können Teilnehmer durch gestaffelte, immer teurer werdende Aufbaukurse hohe Schulden anhäufen oder ihr gesamtes Erspartes verlieren. Diese finanzielle Opferung dient in manchen Gemeinschaften dazu, die Bindung an die Szene aufrechtzuerhalten. Aufgrund der erhöhten Suggestibilität nach dem Event können Teilnehmer zudem unüberlegte, radikale Lebensentscheidungen treffen (Job kündigen, Partner verlassen), die aus einem emotionalen Ausnahmezustand heraus entstanden sind und später zutiefst bereut werden.

Machtmissbrauch

Der schlimmste Fall gipfelt oft im Machtmissbrauch und der Kult-Bildung. Das passiert, wenn emotionale Abhängigkeit vom Leiter ausgenutzt wird (sexueller Missbrauch, emotionaler Manipulation). Die Gruppe entwickelt sich dann zu einer hochkontrollierenden Umgebung, in der die kritiklose Loyalität zum Guru oder Coach an erster Stelle steht. Dies führt zum Verlust der Selbstwirksamkeit, da die Person internalisiert, dass nur die externe Autorität zur Heilung fähig ist, und somit permanent in der Abhängigkeit von der Szene verbleibt.

Andere Wege der Selbstregulation

Natürlich hat jeder eine andere Empfindung davon, was ihm gut tut und das ist zunächst einmal subjektiv. Die Suche nach Sinnfindung, emotionaler Heilung, Gemeinschaft und persönlichem Wachstum ist ein tief menschliches Bedürfnis, das keineswegs nur in der psychospirituellen Szene befriedigt werden muss. Es existieren zahlreiche wissenschaftlich fundierte und ethisch regulierte Wege, die diese Bedürfnisse erfüllen, ohne die Gefahr des Abdriftens oder der Abhängigkeit vom Leiter. Diese Alternativen zeichnen sich durch klare Ausbildungsstandards und eine feste therapeutische Ethik aus.

1.Etablierte Therapieformen und psychologische Unterstützung

Statt auf unregulierte Gurus oder Coaches zu vertrauen, bietet die anerkannte Psychotherapie die Möglichkeit zur tiefgreifenden Selbsterkenntnis und Traumaintegration. Viele approbierte Psychotherapeuten, egal ob sie verhaltenstherapeutisch oder tiefenpsychologisch arbeiten, sind offen für die Einbeziehung existenzieller oder spiritueller Fragen

Sie arbeiten an den psychologischen Wurzeln von Problemen, während sie gleichzeitig die Suche nach dem Sinn des Lebens und persönlichen Werten berücksichtigen. Besonders relevant ist die Existenzielle Psychotherapie, die sich explizit auf die großen Fragen menschlicher Existenz konzentriert, wie Sinn, Freiheit, Verantwortung und die Auseinandersetzung mit Angst. 

Auch spezialisierte, aber regulierte Ansätze der Transpersonalen Psychotherapie verbinden östliche und westliche Methoden, indem sie beispielsweise die Arbeit mit veränderten Bewusstseinszuständen wie Meditation von einer ausgebildeten Fachperson in einem sicheren Raum begleiten lassen.

2. Ethisch geführte Praxis und Gemeinschaft

Die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Ritual kann ebenfalls in regulierten Umfeldern befriedigt werden, die nicht auf Personenkult basieren. Achtsamkeits- und Meditationszentren bieten heute vielerorts Praktiken an, die nach klaren, oft wissenschaftlich überprüften Standards wie der Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) gelehrt werden. 

Der Fokus liegt hier stets auf der Selbstregulation und nicht auf der Abhängigkeit vom Leiter. Ebenso bieten zertifizierte Yogalehrer und gut ausgebildete Praktiker schonende und physiologisch sichere Atemarbeit an, um die Verbindung von Körper und Geist zu stärken, ohne die Gefahr einer emotionalen Überforderung oder Dissoziation. Eine weitere starke und erdende Form der Erfüllung ist die ehrenamtliche Betätigung. Durch das Engagement in sozialen Projekten kann das Gefühl der Sinnhaftigkeit durch Altruismus und die Arbeit an einem Zweck jenseits des eigenen Egos gefunden werden.

Kriterien zur Vermeidung unseriöser spiritueller Szenen

Der entscheidende Unterschied zwischen sicheren Wegen und unseriösen Szenen liegt in der Transparenz der Machtstruktur und der Qualifikation

Transparenz

Seriöse Alternativen basieren auf Approbation oder staatlicher Zertifizierung und sind an klare Ethikrichtlinien gebunden, die Abhängigkeit des Klienten verhindern sollen. Das Finanzmodell ist transparent, mit klaren Honoraren für klar definierte Leistungen.

Qualifikation

Im Gegensatz dazu kennzeichnen unseriöse Angebote oft selbsternannte Titel, sehr hohe, gestaffelte „Investitionen“ und eine Personenkult-Hierarchie, die kritiklose Loyalität und Unterordnung unter die Lehre fordert. Bei der Suche nach Hilfe sollte man daher stets die Qualifikation des Anbieters prüfen und darauf achten, dass die eigene Selbstwirksamkeit gestärkt wird, statt Abhängigkeit zu fördern.

Zusammenfassung: Die duale Funktion der psychospirituellen Gruppe

Die psychospirituellen Gruppenveranstaltungen gewinnen ihre enorme Kraft, weil sie eine Mischung aus seelischer Suche und starker Gruppenenergie nutzen. Der Hauptgrund für die starke Wirkung ist die „kollektive Resonanz“, ein Begriff dafür, dass die Energie der Gruppe stärker ist als die Energie jedes Einzelnen. Wenn alle dasselbe Ziel haben, nämlich Heilung oder Sinn, wird die gemeinsame Absicht stark und hilft, tiefer in Gefühle und unbewusste Probleme zu schauen. Dabei wirken die anderen Teilnehmer wie Spiegel, in denen man seine eigenen Themen schneller erkennt. Gleichzeitig verschwindet durch die gemeinsame Bestätigung das Gefühl der Isolation, was ein wichtiger Schritt zur Heilung ist. Die Leitung schafft zusätzlich einen sicheren Hafen, in dem starke Emotionen sicher freigesetzt werden können, ohne Angst vor Verurteilung.

Biochemische Körperreaktionen als wissenschaftliche Erklärung

Die starken Gefühle wie Euphorie, Wärme oder Kribbeln, die oft als „energetisch“ beschrieben werden, sind jedoch meist keine übernatürliche Kraft, sondern eine Reaktion des Körpers und des Gehirns. Die Erwartungshaltung und die Suggestion der Gruppe aktivieren das Belohnungssystem, wodurch der Körper Glückshormone (Endorphine und Dopamin) ausschüttet. Zusätzlich können Techniken wie intensive Atmung die Blutchemie verändern und das Gefühl von Kribbeln auslösen. Dies alles führt zu einer psychosozialen und neurochemischen Kaskade, die die kritische Urteilsfähigkeit vorübergehend herabsetzt.

Gerade diese erhöhte emotionale Anfälligkeit macht die Szene für Menschen in Krisen oder mit unverarbeiteten Traumata attraktiv. Hier liegt das größte Risiko: Die erlebte intensive emotionale Belohnung kann schnell zur Abhängigkeit von der externen Quelle, dem Coach oder Guru, führen. Um die getätigten Investitionen oder großen Lebensveränderungen zu rechtfertigen, setzen psychologische Mechanismen (Commitment) ein, welche die Bindung an die Lehre verfestigen.

Lieber seriöse Angebote nutzen

Für die Suche nach Heilung und Sinn sind wissenschaftlich anerkannte und ethisch kontrollierte Wege daher sicherer. Dazu gehören die Psychotherapie (die auch spirituelle Fragen zulässt), zertifizierte Achtsamkeitskurse oder das ehrenamtliche Engagement. Diese Alternativen legen Wert auf transparente Qualifikation und darauf, die eigene Selbstwirksamkeit zu stärken, statt Abhängigkeit zu fördern.

 

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Bilder:

  • Titelbild von Vishnu R Nair: https://www.pexels.com/de-de/foto/leute-beim-konzert-1105666/
  • Foto von Dewang Gupta auf Unsplash
  • Foto von Joanne Adela: https://www.pexels.com/de-de/foto/monochromes-foto-der-frau-3225796/
  • Foto von Cason Asher auf Unsplash

 

Linda
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