Wir alle wollen recht haben. Ein riesiger Markt aus Coaches, Gurus und Sinnfluencern macht damit Kasse. Er verkauft uns Bestätigung als Selbstverwirklichung. Doch diese Wohlfühl-Blase kann zu einer gefährlichen Falle werden, die kritisches Denken verhindert: im Job, in der Freundschaft und in der Politik.
Seien wir ehrlich: Nichts fühlt sich so gut an wie Bestätigung. Wenn jemand nickt und sagt: „Genau meine Meinung.“ Dieses wohlige Gefühl kann jedoch umschlagen in einen sogenannten Bestätigungsfehler, oder Neudeutsch „Confirmation Bias“. Dahinter steckt ein simpler, aber folgenreicher Denkfehler unseres Gehirns. Wir suchen uns gezielt die Infos raus, die unsere Meinung stützen. Den ganzen Rest, der dem widerspricht, ignorieren wir gekonnt. Das ist in erster Linie bequem. Aber in einer Welt, die immer komplexer wird, ist diese Bequemlichkeit eine brandgefährliche Sache.
Denn dieser Denkfehler ist die Geschäftsgrundlage einer ganzen Industrie. Einer Industrie, die mit unseren Unsicherheiten spielt und uns einfache Antworten auf komplexe Fragen verkauft. In den Bereiche Coaching und Spiritualität besteht die Gefahr eines Confirmation Bias im besonderen Maße.
Was ist die Confirmation-Bias?

Bestätigungsfehler im Coaching
Der Coaching-Markt boomt. Überall ploppen Life-Coaches, Business-Gurus und Mindset-Trainer auf, die uns das Blaue vom Himmel versprechen. Glück, Erfolg, Reichtum, alles nur eine Frage der richtigen Einstellung. Das ist eine verführerische Botschaft, vor allem für Menschen, die sich von der modernen Arbeitswelt überfordert und alleingelassen fühlen. Statt über miese Löhne, unsichere Jobs oder fehlende soziale Absicherung zu reden, wird das Problem kurzerhand privatisiert: Nicht das System ist kaputt, sondern dein Denken.
Das Geschäft mit dem Ego: Wenn der Coach immer recht hat
Und hier schnappt die Falle zu. Wer Hunderte oder Tausende von Euros für ein Coaching-Programm auf den Tisch legt, der will glauben, dass es funktioniert. Man hat ja investiert. Also sucht man zwanghaft nach Beweisen für den Erfolg. Jeder kleine Fortschritt wird dem neuen „Mindset“ zugeschrieben. Und wenn es nicht klappt? Tja, dann ist man selbst schuld. Dann hat man eben nicht „hartnäckig genug“ manifestiert oder hatte die „falsche Energie“.
Das ist eine perfide Schuldumkehr. Die Methode selbst, der Coach, das ganze System dahinter, all das steht niemals zur Debatte. Kritik von Freunden oder Zweifel werden als „negative Energie“ oder „Mangel an Vision“ abgebügelt. So entsteht eine hermetische Echokammer, in der der Coach zum unfehlbaren Meister und der Klient zum zahlenden Jünger wird. Statt Mündigkeit und Selbstständigkeit wird hier eine neue Abhängigkeit gezüchtet. Man kauft den nächsten Kurs, das nächste Seminar, immer in der Hoffnung, es endlich „richtig“ zu machen. Ein perfekter Kreislauf für den Anbieter.
Bestätigungsfehler in spirituellen Kreisen
Noch eine Nummer kann es auch im spirituellen Sektor gehen. Hier geht es nicht nur um Erfolg, sondern um den Sinn des Lebens. Um die „Wahrheit“. Doch auch hier wird die Suche danach oft zur reinen Selbstbestätigung. Ein beliebtes Manöver ist das sogenannte „spirituelle Bypassing“ – eine Art spirituelle Flucht. Anstatt sich mit echten, schmerzhaften Gefühlen wie Trauer, Angst oder alten Traumata auseinanderzusetzen, wird einfach ein spirituelles Pflaster draufgeklebt. Diese Gefühle seien „niederschwingend“, heißt es dann, ein Zeichen mangelnder „Erleuchtung“. Also werden sie weggedrückt, wegmeditiert, weggemanifestiert.
Spirituelle Flucht: Gurus, Götter und leere Konten
In Gruppen kann dieser Mechanismus schnell zu toxischen, kultähnlichen Strukturen führen. Die Anhänger sind felsenfest davon überzeugt, ihr Guru oder ihre spirituelle Lehrerin sei „erwacht“. Von da an suchen sie nur noch nach Beweisen für dessen Genialität. Jeder Widerspruch, jeder Fehler, selbst ethische Verfehlungen und nachweisbarer Machtmissbrauch werden weggeredet, uminterpretiert oder zu einer „Prüfung für den Glauben“ verklärt. Die Gruppe wird zur Echokammer, in der kritisches Denken als Verrat gilt. Wer zweifelt, fliegt raus. Auf diesem Nährboden aus unerschütterlichem Glauben und Gruppenzwang gedeihen emotionale und finanzielle Ausbeutung.
Confirmation Bias im Alltag
Aber die Rechthaber-Falle lauert nicht nur bei teuren Coaching-Seminaren. Sie durchdringt unseren gesamten Alltag, unsere Beziehungen zu den Menschen, die uns am nächsten stehen.
In der Familie werden die Rollen oft schon in der Kindheit verteilt: der Chaot, die Fleißige, das Sorgenkind. Einmal im Kopf, sucht man ein Leben lang nach Beweisen für diese Etiketten. Der „chaotische“ Bruder, der einmal einen Termin vergisst, bestätigt das Klischee. Dass er sonst absolut zuverlässig ist, wird übersehen. So halten wir uns gegenseitig in Schubladen gefangen.
In Freundschaften ist es dasselbe Spiel. Nehmen wir Anna, seit zehn Jahren deine Freundin, immer da, immer verständnisvoll. Plötzlich fängt sie an, Grenzen zu setzen. Sagt „Nein“. Fordert Zeit für sich. Dein Gehirn, trainiert auf die „alte Anna“, schlägt Alarm. Statt zu denken: „Wow, sie passt endlich auf sich auf“, ist die erste Reaktion: „Was ist mit der los? Die ist egoistisch geworden!“ Man sucht nach einer externen Erklärung, weil die Realität, dass Menschen sich entwickeln, das eigene, bequeme Bild zerstört.
Unser Alltag: Ein Minenfeld der Vorurteile
Oder der umgekehrte Fall: Du fühlst dich vernachlässigt, hast die Überzeugung „Ich investiere viel mehr in diese Freundschaft“. Von da an siehst du nur noch die Beweise dafür. Jede verspätete Antwort auf eine Nachricht ist Absicht. Jede Absage ein persönlicher Affront. Dass der Freund vielleicht wirklich Stress hat, wird ausgeblendet. Man sucht nach Verletzungen und findet sie und treibt den anderen durch das eigene Misstrauen oft erst recht auf Abstand.
Am Arbeitsplatz hat diese Denke handfeste Konsequenzen. Ein Chef, der einen Mitarbeiter für faul hält, wird nur dessen Fehler sehen und seine Erfolge ignorieren. Das demotiviert und wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Kollegen aus einer anderen Abteilung, die man für „inkompetent“ hält, begegnet man von vornherein mit Misstrauen, was jede Zusammenarbeit vergiftet.
Was also tun? Misstrauen hilft!
Die Lösung ist kein weiteres Coaching, sondern eine veränderte Haltung. Eine Haltung des kritischen Misstrauens, vor allem gegenüber den eigenen, liebsten Überzeugungen.
Wir müssen wieder lernen, Widersprüche auszuhalten. Echte Entwicklung beginnt nicht im Applaus der Gleichgesinnten, sondern im unbequemen Zweifel. Das erfordert Mut. Den Mut, zuzugeben, dass man falsch lag. Den Mut, schmerzhafte Gefühle nicht wegzudrücken, sondern sie als Wegweiser zu verstehen. Und den Mut, die Versprechen von Gurus, Coaches und auch Vorgesetzten kritisch zu hinterfragen, selbst wenn sich das erstmal nicht gut anfühlt.
Wahrer Fortschritt liegt nicht in der Bestätigung, sondern im Riss, im Bruch mit dem Gewohnten. Wir müssen bereit sein, unsere „Wahrheiten“ täglich neu auf den Prüfstand zu stellen. Nur wer aktiv nach dem sucht, was seine Weltsicht erschüttert, kann verhindern, in der bequemen, aber stagnierenden Falle der Bestätigungsfehler zu versacken. Selber denken tut manchmal weh. Aber es ist das Einzige, was uns wirklich weiterbringt.
Confirmation Bias erkennen – 7 Tipps
Teil A: Die Falle in der Beziehung entlarven
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Achte auf das Gefühl, „im Recht zu sein“
Das stärkste Warnsignal ist das heiße, fast schon erleichternde Gefühl der Wut oder Enttäuschung, wenn der andere etwas tut und du denkst: „Ich wusste es! Er/Sie ist GENAU so!“ Dieser Moment, in dem sich deine negative Erwartung erfüllt, fühlt sich wie eine Bestätigung an, ist aber in Wahrheit nur das Klicken der Falle.
- Frage dich: „Freue ich mich gerade insgeheim darüber, recht zu haben, anstatt traurig darüber zu sein, dass wir ein Problem haben?“
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Erkenne deine „Immer/Nie“-Gedanken
Sätze wie „Du hörst mir nie zu“ oder „Immer lässt du alles liegen“ sind fast nie die Wahrheit. Sie sind die Sprache des Bestätigungsfehlers. Dein Gehirn filtert alle Gegenbeispiele (die Male, wo er zugehört oder sie aufgeräumt hat) heraus, um das negative Bild zu zementieren.
- Praxis: Sobald du „immer“ oder „nie“ denkst, halte inne und zwinge dich, aktiv eine einzige Ausnahme zu finden. Das bricht die verallgemeinernde Anklage auf.
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Überprüfe deine Berater (deine Echokammer)
Mit wem redest du über deine Beziehungsprobleme? Nur mit dem Freund, der deinen Partner sowieso nicht mag und dir immer zustimmt? Das ist eine Beziehungs-Echokammer. Sie bestätigt deine negative Sichtweise und gießt Öl ins Feuer.
- Praxis: Sprich bewusst mit jemandem, von dem du weißt, dass er eine neutrale oder sogar positive Sicht auf deinen Partner hat. Frage nicht: „Findest du nicht auch, dass er unmöglich ist?“, sondern: „Wie siehst du die Situation?“
Teil B: Aktiv gegensteuern und die Verbindung stärken
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Sei der Anwalt deines Gegenübers (für 5 Minuten)
Bevor du ein schwieriges Gespräch beginnst oder einen Vorwurf formulierst, nimm dir fünf Minuten und übernimm die Rolle des Anwalts für dein Gegenüber. Finde die bestmöglichen, nachvollziehbarsten Gründe für sein oder ihr Verhalten. Warum könnte eine vernünftige, dich mögende Person so gehandelt haben?
- Ziel: Diese Übung baut sofort Empathie auf und verwandelt einen potenziellen Angriff in eine Frage.
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Formuliere Gefühle und Beobachtungen statt Anklagen
Dein Bestätigungsfehler will Fakten schaffen („Du bist respektlos“). Durchbrich das, indem du nur über dich und deine Wahrnehmung sprichst.
- Statt: „Du interessierst dich null für mich!“ (Anklage)
- Versuche folgendes: „Wenn du am Handy bist, während ich dir etwas erzähle, fühle ich mich unwichtig.“ (Beobachtung + Gefühl)
Das lässt Raum für eine Erklärung, anstatt eine Mauer hochzuziehen.
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Trenne die Handlung von der Person
Das ist die wichtigste Regel. Kritisiere ein spezifisches Verhalten, nicht den gesamten Charakter eines Menschen.
- Falsch: „Du bist so ein fauler Mensch!“ (Charakterangriff)
- Richtig: „Ich bin enttäuscht, dass du den Müll nicht rausgebracht hast, wie besprochen.“ (Kritik an einer Handlung)
Handlungen kann man ändern, einen vermeintlich schlechten Charakter nicht.
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Führe eine „Positiv-Strichliste“
Wenn du dich in einer negativen Gedankenspirale befindest („Er/Sie macht gar nichts mehr für mich“), dann kehre die Beweissuche bewusst um. Nimm dir einen Tag oder eine Woche vor, ausschließlich nach den kleinen positiven Dingen zu suchen, die der andere tut. Ein Lächeln, ein Kaffee, eine erledigte Kleinigkeit. Notiere sie mental.
- Effekt: Diese Übung kalibriert deinen Wahrnehmungsfilter neu und zwingt dich, die positiven Dinge wieder zu sehen, die dein Bestätigungsfehler sonst ausblendet.
Zwischenmenschliche Beziehungen sterben selten an einem großen Knall, sondern oft an tausend kleinen Bestätigungsfehlern, die irgendwann eine Kluft schaffen, die immer tiefe wird. Die oben genannten Techniken sind anstrengend, aber sie sind die eigentliche Beziehungsarbeit: Den anderen immer wieder neu und wohlwollend zu betrachten, anstatt nur in den eigenen alten Geschichten über ihn gefangen zu sein.
Fazit: Der Mut zum Widerspruch
Die Lösung kann nicht in einer pauschalen Ablehnung von Coaching oder Spiritualität liegen. Vielmehr erfordert sie eine kritische Reflexion der eigenen Rolle in diesen Prozessen. Authentische persönliche Entwicklung beginnt oft dort, wo die Bestätigungsfehler enden. Entwicklung verlangt das genaue Gegenteil des Confirmation Bias: die bewusste, aktive Auseinandersetzung mit dem Widerspruch.
Der Ausweg aus dieser Falle erfordert Mut: den Mut, eigene Überzeugungen fundamental infrage zu stellen; den Mut, auch schmerzhafte Emotionen als notwendige Wegweiser anzuerkennen; und den Mut, die Versprechen eines Coaches kritisch zu prüfen, selbst wenn es sich zunächst nicht „gut anfühlt“. Wahrer Fortschritt misst sich nicht an einer sicher geglaubten Antwort über den anderen, sondern an der Bereitschaft, seine eigenen Annahmen immer wieder in Frage zu stellen. Nur so lässt sich verhindern, dass die Suche nach Wachstum in einer bequemen, aber letztlich stagnierenden Selbsttäuschung endet.
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