In unserer Gesellschaft sind Selbstoptimierung, Wettbewerb und Selbstdarstellung allgegenwärtig. Diese Entwicklung spiegelt sich zunehmend auch in unseren Beziehungen wider: Egozentrik, Nutzenmaximierung und Oberflächlichkeit prägen viele zwischenmenschliche Verbindungen. Doch liegt das wirklich an den Menschen selbst? Oder überträgt sich das wirtschaftliche System, in dem wir leben, auf unser Sozialverhalten? Und wie könnte die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) hier eine Veränderung bewirken?
Beziehungen als Markt – Wie unser Wirtschaftssystem unser Sozialverhalten beeinflusst
Unsere aktuelle neoliberale Wirtschaftsordnung setzt auf Konkurrenz, Profitstreben und Individualismus. Diese Prinzipien zeigen sich zunehmend im zwischenmenschlichen Miteinander, das sich fast schon erschreckend normalisiert hat:
1. Selbstoptimierung als Voraussetzung für Wert
Der Druck, ständig besser zu werden – beruflich, körperlich oder sozial – wirkt sich auch auf Partnerschaften aus. Wer nicht mithalten kann, wird schnell aussortiert. Dating-Apps verstärken diesen Trend, indem sie Menschen wie auf einem Marktplatz präsentieren, wo Attraktivität und Status über den „Wert“ einer Person entscheiden.
Menschen, die Beziehungen nach diesem Prinzip führen, haben oft Angst, nicht gut genug zu sein. Ihr Selbstwert hängt stark von äußerer Bestätigung ab.
2. Nutzenorientierung statt echter Verbindung
Ähnlich wie Unternehmen nach Gewinnmaximierung streben, suchen viele Menschen nach Partnern oder Freunden, die ihnen einen „Mehrwert“ bieten. Die Frage „Was bringt mir diese Beziehung?“ ersetzt oft den Wunsch nach echter Nähe und Fürsorge.
Diese Haltung entspringt häufig einem Mangel an echter emotionaler Reife. Wer nur auf Vorteile schaut, hat Schwierigkeiten mit Intimität und Empathie.
3. Kurzfristigkeit und Austauschbarkeit
In einer Wirtschaft, die auf schnellen Konsum setzt, werden auch Beziehungen immer kurzfristiger. Menschen werden ausgetauscht, sobald eine „bessere Option“ verfügbar ist – sei es in der Liebe oder in Freundschaften.
Wer andere als austauschbar betrachtet, läuft jedoch Gefahr, selbst früher oder später Einsamkeit und oberflächliche Beziehungen zu erleben. Wirklich tiefe Bindungen können so nicht entstehen.
4. Machtgefälle und Ungleichheit
Wie in der Wirtschaft, wo Führungskräfte mehr Einfluss haben als Angestellte, gibt es auch in Beziehungen oft ungleiche Machtverhältnisse. Ein Partner kann zum Beispiel durch finanziellen oder sozialen Status dominieren, während der andere sich anpassen muss. Manchmal sind es aber auch personelle Machtgefälle, vielleicht ist der eine selbstbewusster als der andere und hält letzteren stets klein, statt ihm auf Augenhöhe zu begegnen und dessen Gefühle und Bedürfnisse „genauso ernst ernst zu nehmen wie die eigenen“ (Felber, 2012). Wer Kontrolle über andere sucht, hat oft Angst vor echter Gleichwertigkeit und Verletzlichkeit.
5. Konkurrenzdenken in Beziehungen und Freundschaften
Wettbewerb gehört zur Marktwirtschaft – und oft auch zu unseren Beziehungen. Partner oder Freunde vergleichen sich ständig: Wer hat den besseren Job, das erfolgreichere Leben, die spannendsten Kontakte? In manchen Freundschaften wird Entwicklung zur Konkurrenz – persönliche Grenzen werden missachtet, Bedürfnisse ignoriert, die eigenen Interessen als wichtiger erachtet. Statt Vertrauen und Unterstützung entsteht ein unterschwelliger Wettkampf. Diese Art von Konkurrenzdenken zeigt oft ein unsicheres Selbstwertgefühl und die Angst, nicht genug zu sein.
6. Beziehungen als Mittel zum Zweck
In einer profitorientierten Gesellschaft geht es oft um den eigenen Vorteil. Und es überträgt sich auf uns. Menschen fragen sich: „Was kann ich aus dieser Beziehung herausholen?“ Solange eine Verbindung einen Nutzen bringt – sei es emotionale Bestätigung, sozialer Status oder materielle Sicherheit – bleibt sie bestehen. Doch sobald der andere sich weiterentwickelt und nicht mehr das „liefert“, womit er kontrolliert oder ausgenutzt werden konnte, wird auf Distanz gegangen. Diese Haltung deutet oft auf Unsicherheit und die Unfähigkeit hin, Liebe ohne Bedingungen zu geben.
All dies sind Übertragungen des neoliberalen Wirtschaftssystems auf zwischenmenschliche Beziehungen. Eine äußerst toxische Mischung, die nur durchbrochen werde kann, wenn Menschen sich selbst reflektieren und miteinander reden.
Gemeinwohlökonomie – Ein neues Miteinander in Beziehungen und Freundschaften
Die Gemeinwohlökonomie, die insbesondere durch Christian Felber entwickelt wurde, bietet eine Alternative zu dieser ungesunden Form des Wirtschaftens und des Miteinanders: Sie stellt Kooperation, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung über Wettbewerb und Profit. Übertragen auf Beziehungen würde das bedeuten:
1. Wertschätzung statt Nutzenmaximierung
Wenn wir uns daran halten würden, wären Menschen nicht deshalb wertvoll, weil man von ihnen etas „haben kann“, sondern weil echte Verbundenheit zählt. Beziehungen und Freundschaften würden auf Respekt und Anerkennung basieren – nicht auf Leistung.
Die Gemeinwohlökonomie hat erkannt, dass der Wert eines Menschen unabhängig von Leistung besteht – somit kann jede Beziehungen, auch die kollegialen Beziehungen im Unternehmen entspannter gelebt werden.
2. Kooperation statt Konkurrenz
Würden wir mehr miteinander kooperieren, statt im ständigen Wettberwerb zu stehen, und uns füreinander freuen, wenn der andere sich weiterentwickelt oder einen interessanten neuen Job hat, dann wären Beziehungen kein Wettkampf mehr, sondern ein gemeinsames Wachstum. Statt sich mit anderen zu messen, würden sich Partner und Freunde gegenseitig unterstützen und somit zusammen weiterentwickeln statt die Schotten dicht zu machen aus Eifersucht oder Neid.
Denn echte Freude am Erfolg anderer fördert ein unterstützendes und bereicherndes Miteinander.
3. Nachhaltigkeit statt Austauschbarkeit
Das neoliberale Wirtschaftssystem hat uns das Mindset der „Austauschbarkeit“ gelehrt, welches spätestens seit Tinder unsere Beziehungsfähigkeit zersetzt. Die Gemeinwohlökonomie setzte hingegen auf nachhaltige Beziehungen, in der Wirtschaft wie im alltäglichen Leben. Beziehungen, die auch mal Höhen und Tiefen sowie unangenehme Momente durchleben, ohne gleich durch Neues ausgetauscht oder lahmgelegt zu werden, weil irgendetwas nicht „funktioniert“. Langfristige Werte wie Vertrauen, Verlässlichkeit und emotionale Tiefe würden wichtiger werden als kurzfristige Reize und schnelle Ersetzbarkeit.
4. Gleichwertigkeit statt Machtgefälle
In einem gemeinwohlorientierten System würden alle Beziehungen auf Augenhöhe stattfinden. Gefühle und Bedürfnisse des anderen sind gleichrangig mit den eigenen Interessen und nicht weniger wichtiger, weil nur „meine“ Bedürfnisse zählen. Bei Meinungsverschiedenheiten wir miteinander gesprochen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Nur wer diese Gleichwertigkeit zulässt, kann Nähe und Vertrauen erfahren.
Fazit: Eine neue Perspektive auf Liebe und Freundschaft
Menschen, die (oft unbewusst) das kapitalistische Wirtschaftssystem in ihre persönlichen Beziehungen transferieren, leiden oft unter Unsicherheiten, Angst vor Zurückweisung und einem Mangel an emotionaler Reife. Sie haben Schwierigkeiten, Vertrauen aufzubauen, da sie Liebe und Nähe mit Leistung oder Nutzen verknüpfen. Ihre Bindungen bleiben oft oberflächlich, weil sie nicht gelernt haben, sich ohne Bedingungen auf andere einzulassen.
Doch genau hier liegt die Chance zum inneren Wachstum: Wer erkennt, dass echte Beziehungen nicht auf Konkurrenz, Kontrolle oder Nutzen basieren, kann sich für tiefere und authentischere Verbindungen öffnen. Die Werte der Gemeinwohlökonomie – Kooperation, Wertschätzung und Respekt – können nicht nur unser Wirtschaftssystem, sondern auch unsere Beziehungen nachhaltiger, gesünder und erfüllender machen.
Durch Bewusstheit, radikaler Ehrlichkeit zu sich selbst und Reflexion kann man lernen, ebendiese Beziehungen auf Augenhöhe zu führen.
Quellen:
- Twenge, Jean M., & Campbell, W. Keith: The Narcissism Epidemic: Living in the Age of Entitlement (2009)
- Klein, Naomi: No Logo: Taking Aim at the Brand Bullies (1999)
- Sennett, Richard: The Corrosion of Character: The Personal Consequences of Work in the New Capitalism (1998)
- Felber, Christian: „Die Gemeinwohl-Ökonomie: Das Wirtschaftsmodell der Zukunft“ ( 2012)
Foto von Clay Banks auf Unsplash
- Beziehungen als Spiegel unseres Wirtschaftssystems – wie Gemeinwohlökonomie helfen kann - 28. Februar 2025
- Spiritual Bypassing – Wenn Spiritualität zur Vermeidung dient - 20. Februar 2025
- Die Gefahren von Ayahuasca - 11. Februar 2025